Mutters Klavier

 

Zwei Möbelträger stellen ein Klavier vor einer Wohnungstür ab und klingeln.
VATI (die Tür öffnend) Aha!
TRÄGER (Lieferschein ablesend) Ist das hier richtig bei...Panislowski?
VATI (in die Wohnung zurückrufend) Thomas! Also, Netzschalter auf »On«, gleichzeitig die Tasten »Start« und »Aufnahme« drücken, aber die Kamera erst auslösen, wenn die beiden Herren mit dem Klavier in der Wohnzimmertür erscheinen...
TRÄGER Sind wir hier richtig bei...Panislowski?
VATI Thomas!
THOMAS (von innen) Ja...
VATI Hast du verstanden?
THOMAS Ja...
VATI Na, dann sag doch was!
TRÄGER Wir kommen von der Firma...
VATI Ich weiß, meine Herren, dieses Instrument ist ein Geschenk von meiner Mutter, die in Massachusetts lebt, in den Vereinigten Staaten. Es hat also immerhin eine Reise per Schiff von 8000 Kilometern hinter sich, und wir möchten die Ankunft des Klavieres und die freudige Überraschung im Familienkreis als Film festhalten...also nicht Film...so Video...Videorecorder...auf Kassette...wir haben ein TV-Heimgerät, und wir schicken dann die Kassette meiner Mutter in die Staaten...(nach hinten) Thomas, läuft das Band?
THOMAS Ja...
VATI Also bitte, dann kommen Sie jetzt...
TRÄGER Zu...gleich...(tragen das Klavier in den Flur)
VATI (neben ihnen hergehend)...Und wenn Sie den Wohnraum betreten, sagen Sie einfach »Guten Tag« oder was Sie eben so sagen, und das Ganze ein bißchen lebhaft, wissen Sie, es soll fröhlich wirken...
THOMAS Vati, du mußt aber hier mit im Zimmer sein...
VATI Ich komme...Warten Sie, bis ich »jetzt« sage! (Er eilt ins Wohnzimmer. Dort sitzen um einen gedeckten Kaffeetisch die strickende Mami, Schwiegertochter Helga und zwei etwa zehnjährige Enkel. In der gegenüberliegenden Zimmerecke steht der 35jährige Sohn Thomas hinter der Videokamera)
VATI Also Kinder, alles wie besprochen...Mamilein, du klatschst in die Hände und rufst »Was ist denn das?«...so richtig freudig überrascht...Klaus-Dieter und Heinz-Herbert...»Schau mal, Opa, das schöne Klavier!«...und du Helga...wie war das?
HELGA Ein Klavier...ein Klavier!
VATI Ach ja...dann sage ich »Mutter, wir danken dir!«, und Thomas, du achtest drauf, daß das Klavier immer schön im Bild ist...
THOMAS Jaja...
VATI (sieht durch die Tür in den Flur) Jetzt! (setzt sich rasch) Läuft das Band?
THOMAS Ja doch! (richtet die Kamera auf die Tür. - Die Tür wird aufgestoßen. Beide Träger kommen ohne Klavier ins Zimmer)
TRÄGER Guten Tag!
MAMI (klatscht in die Hände) Was ist denn das?!
KINDER (im Chor) Schau mal, Opa, das schöne Klavier!
HELGA Ein Klavier...ein Klavier!
VATI Halt...Haaalt! So geht das nicht...meine Herren, wir hatten natürlich angenommen, Sie hätten das Klavier bei sich!
TRÄGER Soll es hier rein?
VATI Ganz recht...dort an die Wand...
(Die Träger wenden sich zum Gehen)
Ach, und es wäre vielleicht doch gut, wenn - nachdem meine Frau »Was ist denn das?« gesagt hat - wenn Sie dann sagen würden: »Das ist ein Geschenk von Frau Berta Panislowski aus Massachusetts!«...das ist meine Mutter...
(Träger aus dem Zimmer)
VATI ...Und Helga, du sitzt da so steif, es muß natürlicher aussehen, iß doch ein Stück Kuchen...(zu den Kindern)...Das gilt auch für euch...(nach draußen) So...bitte sehr...(zum Sohn) Läuft die Kassette?
THOMAS (ärgerlich) Ja...
(Die Tür öffnet sich. Die Träger tragen das Klavier herein und sitzen mit einem üblen Geräusch an der Anrichte fest)
TRÄGER Guten Tag...
MAMI Mein Gott, die ruinieren mir ja die ganze Anrichte...
TRÄGER Das ist ein Geschenk von Frau...äh...von Berta...
KINDER (mit vollem Mund) Schau mal, Opa, das schöne Klavier!
HELGA (mit vollem Mund) Ein Klavier...ein Klavier!
VATI (unterbrechend) Halt, halt, halt, halt! Mamilein, bitte, du mußt dich genau an deinen Satz halten...»Was ist denn das?«...
MAMI Aber die haben mir die Anrichte verschrammt...
VATI Das braucht doch meine Mutter nicht zu wissen...immerhin schenkt sie uns das Klavier!
(Die Träger haben das Klavier abgesetzt)
TRÄGER...also da an die Wand?
VATI Herr...äh...wie ist Ihr Name?
TRÄGER Finke...
VATI Herr Finke, wir müssen die Aufnahme wiederholen...und meine Mutter heißt Panislowski, Berta Panislowski aus Massachusetts...
(Die Träger tragen das Klavier zurück in den Flur)
...Entschuldigen Sie, daß wir Sie nochmal bemühen müssen...aber für Sie ist es doch auch mal was anderes...(zum Sohn) Läuft das Band?
THOMAS (enerviert) Ja doch!
VATI (nach draußen) Sie können kommen!
(Es passiert nichts. Vati steht auf, geht an die Tür und will hinaussehen. Da geht die Tür unerwartet auf und knallt ihm an den Kopf. Er hält sich das Auge. Die Träger tragen das Klavier herein)
TRÄGER Guten Tag...
MAMI (ohne hinzusehen) Was ist denn das?
1. TRÄGER Das ist ein Geschenk von Frau Berta Plani...Plopski...
KINDER (mit vollem Mund) Schau mal, Opa, das schöne Klavier!
HELGA (mit vollem Mund) Ein Klavier...ein Klavier!
VATI (sich das Auge haltend) Nein...nein...meine Mutter heißt Berta Panislowski und wohnt in Massachusetts...bitte, wenn Sie noch einmal hereinkommen würden...
(Die Träger tragen das Klavier hinaus)
HELGA Sollen wir denn immer noch Kuchen essen?
MAMI Ich muß dann auch in die Küche und Abendessen machen...
VATI (mit zugekniffenem Auge, ärgerlich) Wir sitzen jetzt gemütlich am Kaffeetisch und essen Kuchen...Mutters Klavier kommt aus Amerika zu ihrer harmonischen kleinen Familie in Deutschland...ist das zuviel verlangt? (nach draußen) Bitte, meine Herren...(zum Sohn) Läuft das Band?
THOMAS (gereizt) Jawohl, es läuft!
VATI Ich wünsche nicht, daß du in diesem Ton zu deinem Vater sprichst!
(Die Träger tragen das Klavier herein)
TRÄGER Guten Tag...
MAMI Was ist denn das?
TRÄGER Das ist ein Geschenk von Frau Berta Panislowski aus Matscha...wie war das?
KINDER (mit vollem Mund) Schau mal, Opa, das schöne Klavier!
HELGA (mit vollem Mund) Ein Klavier...ein Klavier!
VATI Beinah...wir hatten es beinah...Herr Finke, wenn Sie Schwierigkeiten mit dem Namen Massachusetts haben, lassen Sie ihn weg und sagen Sie einfach nur, daß es eben ein Geschenk von meiner Mutter ist...also bitte noch einmal...
(Die Träger tragen das Klavier hinaus)
KIND Mir ist schlecht...
VATI Nimm dich zusammen, Junge...(Blick zu Thomas) Thomas! (deutet auf Recorder)
THOMAS (düsterer Blick zum Vater)
VATI ...Und herein bitte...
(Die Träger tragen das Klavier herein)
TRÄGER Guten Tag...
MAMI Was ist denn das?
TRÄGER Das ist ein Geschenk von meiner Mutter...
KINDER Schau mal, Opa, das schöne Klavier. ..
MAMI Ein Klavier...ein Klavier!
VATI Halt...neinneinneinnein! Herr Finke, das ist eben nicht ein Geschenk von Ihrer Frau Mutter...es ist ein Geschenk von meiner Mutter!
TRÄGER (tonlos) Ach so...
(Die Träger tragen das Klavier hinaus)
VATI (hinterherrufend)...Von Frau Berta Panislowski...also bitte...und alles ein bißchen lebhafter...Helga, gib doch den Kindern mal ein frisches Klavier...äh...ein...(zeigt auf die Torte)...na...
HELGA (Kuchen verteilend, mit vollem Mund) Torte...
VATI Ja...und bitte herein!
(Die Träger tragen das Klavier herein)
TRÄGER Guten Tag...
MAMI (gähnend) Was ist denn das?
TRÄGER Das ist ein Klavier...ein Geschenk von Berta...aus Panislowski...
KINDER (gequält, mit vollem Mund) Schau mal, Opa, das schöne Klavier...
HELGA Ein Klavier...ein Klavier...
VATI Mutter, wir danken dir!...Es war nicht ganz korrekt, aber lassen wir's mal so...Vielen Dank, meine Herren...
MAMI Dann geh ich jetzt mal ans Abendessen...
HELGA (kämpft mit vorgehaltener Serviette gegen Übelkeit)

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